Ja auch ich wurde von der Liebe einmal sehr arg getroffen
Am 4. Juni 1980 um 13:05 Uhr wurde ich vom Obersten Gericht in Texas zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt.
Man befand mich der Unzucht in der Öffentlichkeit und der geschlechtlichen Zuwiderhandlung an einem Gleichgeschlechtlichen mit Todesfolge für schuldig.
Es war ein sonniger, warmer Tag.
Natürlich, es war ja auch Texas.
Ein Monat zuvor packte ich meinen Koffer, um in den Urlaub zu fahren. Braucht man einen Pullover in Texas? Sicherlich nicht. Vorsichtshalber packte ich einen ein. Man weiß ja nie was kommt.
Drei Wochen zuvor hatte ich Glückspilz eine Reise nach Texas gewonnen.
Eine amerikanische Firma, die Root Beer produzierte, hatte an dem Supermarkt, bei dem meine Frau und ich gewöhnlich einkauften, einen sogenannten Promotion Day.
Riesige, aufblasbare Root Beer Dosen standen herum und wiegten sich in den Abgasen der Autos. Hübsche junge Damen in roten, ledernen Anzügen mit Fransen an den Unterarmen und schwarzen Cowboyhüten versperrten den Weg zur Eingangshalle des Supermarktes. Sie verteilten mit ihren strahlend weißen Zähnen kleine Zettelchen in der selben Farbe wie ihre Lederanzüge.
Auf dem 'Mutter-Kind-Parkplatz' war eine Bull-Ride-Anlage aufgebaut. Der Sattel auf dem schwarzweiß gefleckten Kuhrumpf war schwarz, die Matten ringsherum hatten die selbe Farbe wie die Lederanzüge der Cowboydamen. Diese Damen drückten nun meiner Frau und mir je einen Zettelchen in die Hand. Auf dem stand, dass jeder, der sich länger als zwanzig Sekunden auf dem Sattel halten konnte, eine zweiwöchige Rundreise durch den Staat Texas für zwei Personen gewinnen konnte. Als Trostpreis bekam jeder, der sich traute, den elektrischen Bullen zu besteigen, einen Six-Pack Root Beer gratis.
Leider hatte meine Frau vor zwei Wochen im Fernsehen eine Urlaubsshow gesehen, in der in schönen Bildern alle Vorzüge des Lone-Star-State aufgezeigt wurden.
Hinzu kam, dass wir aus verschiedenen Gründen seit drei Jahren keinen Urlaub mehr gemacht hatten und für dieses Jahr war auch keiner in Planung.
So musste ich, auf das Drängen meiner Frau hin, den zuckenden Rumpf besteigen. Ich hatte wenig Lust mich vor einer Samstagnachmittagsupermarktmeute bis aufs Blut zu blamieren, aber ich liebe meine Frau sehr, erfülle ihr nach Möglichkeit jeden Wunsch und wenn ich ihr eine Freude machen kann...
Ich hätte doch niemals damit gerechnet wie schnell ich von diesem elektrischen Sattel auf einen elektrischen Stuhl im Lone-Star-State Texas kommen würde.
Ein kleiner Mann, halb so groß wie ich, mit einem überdimensionalen Cowboyhut und einer Gürtelschnalle in der gut vier bis fünf Hufeisen eingeschmolzen waren, geleitete mich auf den Bock, zeigte mir wie ich mich an dem kleinen Seilende, welches am Sattelknauf befestigt war, festhalten musste. Er stakste über die Matten zurück und nahm den Schalter für die Stoppuhr in die Hand. Eine rote, digitale Anzeige zeigte den rund vierzig Schaulustigen und meiner Frau, wie lange ich mich auf dem Sattel halten konnte. Der gnomige Cowboy betätigte einen Knopf auf dem Schaltpult vor ihm und der Kuhrumpf setzte sich gemächlich in Bewegung. Zuversichtlich lächelte ich meiner Frau zu.
Elegant schwang ich meine Hüften im Rhythmus der Bewegungen des elektrischen Bullen. Es wurde schneller. Das Ding drehte sich um sich selbst und die Zuschauer nahm ich nun gar nicht mehr wahr, da sie einfach zu schnell an mir vorbei huschten. Meine Frau konnte ich in der verwischenden Farbmasse nicht mehr ausmachen. Der Bulle schlug nun immer stärker aus, mein Gesäß hob sich vom Sattel und knallte wieder darauf. Der Plastikschweif, der hinten befestigt war, peitschte gegen meinen Lendenwirbelbereich und ich krallte mich immer fester in das Seilende in meiner Hand.
Das Bocken wurde so extrem, das ich mich zunächst nur noch darauf konzentrierte meine Beine so kräftig wie möglich gegen den Leib des elektrischen Tieres zu pressen. Ich presste und presste, bis ich mir eine Zerrung in beiden Addukktoren zuzog.
Das war aber erst Stufe drei von zehn.
Ich streckte die freie Hand über meinen Kopf aus, so wie man es immer im Fernsehen sieht. Das half. Aber nur für zwei Sekunden. Mein Oberkörper zuckte unnatürlich nach hinten-oben und mein Kopf schlug zurück wie nach einem Aufwärtshaken von Mohammed Ali. Dabei biß ich mir höchst unsanft auf die Zunge.
Aber ich hatte gar keine Zeit mein Blut zu schmecken, denn in diesem Moment bewegte sich mein unterer Rückenbereich nach unten-vorn, mein oberer Rückenbereich jedoch nach rechts-oben-zurück. Das hatte zur Folge, daß, als ich mit meinem Steißbein wieder auf den Sattel krachte, ich mir zwei Wirbel im oberen Lendenwirbelbereich ausrenkte.
Der Schmerz war groß, doch er wurde sogleich von den Schmerzen aufgefangen, die als Folge von einem stumpfen Trauma meiner Genitalien auftraten, als ich nach vorn rutschte und meine Familienplanung nur noch vom Sattelknauf gebremst werden konnte. Das war ja auch gut so, denn sonst wäre ich ja vom Leder gerutscht. Aber später stellte sich hier dann doch eine extrem unangenehme Schwellung und eine furchteinflößende Verfärbung ein.
Wir waren inzwischen bei Stufe sechs angelangt. Jetzt verdrehte ich mir den Arm derart unglücklich, dass er sich einmal um seine Längsachse zu drehen schien. Jedenfalls hatte das Seilende plötzlich eine tückische Schlinge gebildet, die sich erbarmungslos um mein Handgelenk zog. Hier vorn war ich nun gefangen, doch damit nicht genug.
An diesem Tag trug ich meine äußerst bequemen Sportschuhe mit Klettverschluß. Ich weiss, dass das längst out ist, aber für Einkaufstage mit meiner Frau, waren sie meine einzige Linderung. Aber eben diese Klettverschlüsse wurden mir nun zum Verhängnis oder sie waren meine Rettung, je nachdem, wie man es sehen möchte.
Der Plastikschweif des zuckenden Bullen verhakte sich in den Klettverschlüssen meiner Schuhe und fesselte meinen rechten Fuss an das Hinterteil des Tieres. Nun war ich in einer stabilen Diagonalen auf den Bullen gespannt und konnte gar nicht mehr herunter.
Immer wieder schlug ich mit dem Gesicht auf das Kunstleder und schrammte über das Fell, bis ich schließlich bewusstlos wurde.
Später sagte man mir, ich hätte mich bravourös ganze zwanzig Sekunden von Stufe eins bis Stufe zehn auf dem Bock gehalten und dann noch mal volle fünfzehn Sekunden auf Stufe zehn, bis meine Frau den Stecker aus der Anlage zog, denn ich sollte den Urlaub ja auch genießen können.
Ich packte also einen Pullover ein, zwölf T-Shirts, vierzehn Unterhosen, aber sehr weite Boxershorts wegen meiner Schwellung zwischen den Beinen, zwei Jeans und drei Oberhemden.
Viel Platz nahm auch die Reiseapotheke ein, in der verschiedenste Schmerzmittel, Salben und Zäpfchen waren, denn für diesen Urlaub hatte ich doch ein wenig bluten müssen.
Eine mittel schwere Gehirnerschütterung, zwei Zähne ausgeschlagen, Prellungen an fast allen Bereichen des Körpers, ein riesiges Hämatom im Intimbereich, Abschürfungen an Handgelenk und Unterschenkel, sowie an Stirn und Schulter, Zerrungen im Oberschenkel und Rücken, eine doppelte Wirbelblockade und ein eingeklemmter Nerv, ebenfalls im Rücken. Aber die Reise war es wert.
Der Flug war nicht überdurchschnittlich beängstigend, die Fahrt im Reisebus nicht überdurchschnittlich anstrengend. Es gab zwei Fernseher und Klimaanlage. Was will man mehr.
Wir flogen bis Dallas und fuhren dann weiter über Fort Worth, Abilene, San Angelo bis nach Del Rio an der mexikanischen Grenze.
Von da aus ging es weiter nach San Antonio und Houston. Ein kurzer Tagestripp brachte uns nach Galveston direkt am Golf von Mexiko. Zurück ging es dann über Austin und Waco nach Dallas.
Ich kam bis Waco. Da passierte es dann.
Wir waren immer in kleinen Motels untergebracht und das in Waco war ein wenig größer als die meisten anderen, die wir bewohnt hatten.
Es gab sogar eine hauseigene Bar, in der man abends noch ein paar Drinks zu sich nehmen konnte.
Morgen würden wir bereits in Dallas sein und den Flieger nach Hause besteigen, also wollten meine Frau und ich noch ein letztes gemütliches Bier ohne Schaum in der Bar trinken. Ein Abschiedsbier sozusagen.
Das wurde es dann leider auch. Wer hätte das gedacht.
Wir saßen so an der Bar und sahen in den Fernseher, der über dem Tresen hing.
Neben mir saß ein Mann und bestellte sich ein Bier. Er gehörte nicht zu unserer Reisegruppe, aber er fluchte über den fehlenden Schaum auf dem Bier. Er musste, genau wie ich, auch aus Deutschland sein. Ich drehte mich zu ihm, um ihn anzusprechen. Er sah deprimiert und enttäuscht aus. Vielleicht hatte er woanders schon etwas getrunken. Er sah mich an, sah wieder weg. Ich sah auch wieder weg.
Dann sahen wir uns wieder an, blinzelten mit den Augen und lächelten unsicher.
Wir waren in der Grundschule gute Freunde gewesen, doch seit der Zeit, also seit ca. 15 Jahren hatten wir uns nicht mehr gesehen. Jetzt trafen wir uns wieder in einer Motelbar in Waco, Texas. Wer hätte das gedacht.
Dieser Zufall musste begossen werden. Ich stellte ihm meine Frau vor und er sagte, er würde auch demnächst heiraten. Eine Amerikanerin. Er erzählte wie es ihn hierher verschlagen hatte. Der Abend wurde lang und meine Frau schlief schon am Tresen ein. Als er bemerkte, daß sie fest schlief, wurde seine Stimme etwas leiser und er wollte mich etwas fragen. Er habe zur Zeit Probleme mit seiner Frau.
Sie würden sich lieben und so, aber da wäre etwas, dass er tun müsste, um sie zu heiraten. Ich fand seine Erzählung sehr spannend. Was war es bloß, was sie von ihm verlangte? Ich fragte ihn leise und er flüsterte mir zu, sie möchte, dass er sich beschneiden lasse. Alle Amerikaner seien beschnitten. Aber da er nun mal aus Deutschland komme, war das bei ihm nicht der Fall.
Er berichtete mir, dass seine Verlobte es einfach ästhetischer finden würde und überhaupt. Der Haken sei nur der, dass er nicht derjenige sei, der Operationen gut über sich ergehen lassen könne. Und gerade an dieser prekären Stelle hat er einfach noch Bedenken, in die Operation einzuwilligen. Ich sagte ihm, dass sei doch kein Problem, ein kleiner Schnitt und alles sei vergessen, sie könnten auf der Stelle heiraten.
Er versicherte mir, sich noch an unsere Schulzeit erinnernd, sagen zu können, dass ich ja auch beschnitten sei. Ich versicherte ihm, dass er sich da ganz richtig erinnere.
Also betete ich ihm alle Vorzüge des Beschnittenseins runter. Aber er wisse nun immer noch nicht wie ein solcher Schnitt aussehe, er könne sich die neue Lebenssituation nicht plastisch vorstellen.
Also fragte er mich, ob ich ihm auf der Toilette vielleicht einmal zeigen könne, wie so etwas aussieht.
Ich erwiderte, das stelle kein Problem für mich dar.
Wir gingen auf die Herrentoilette.
Meine geliebte Frau schlief seelenruhig am Tresen weiter.
Natürlich war ich schon mehr als gewöhnlich alkoholisiert und vergass zu erwähnen, dass ich ja ein recht ordentliches Hämatom im Intimbereich vorweisen konnte, weswegen ich ja immer diese weiten Boxershorts trug und meine Frau Angst hatte mit mir zu schlafen.
Wir versicherten uns, dass niemand außer uns in der Toilette war.
Neugierig beugte sich mein Freund herunter und ich öffnete meine Hose. Gerade in dem Moment als ich mein blaues, angeschwollenes Gehänge herauszog, kam ein Deputy-Sheriff der hiesigen Polizei herein.
Mein Freund erschrak dermaßen, als er meine Genitalien erblickte, dass er sofort erst weiß, dann rot, dann blau anlief, der Atem ihm stockte und er sich an sein Herz fassen musste. Er sprang zurück und schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Ein wimmerndes Jammern entfuhr seinem zur Grimasse verzogenen Mund und seine Augen quollen aus den Höhlen, dass sie auf den gefliesten Boden zu fallen drohten. Auch der Deputysheriff zeigte Anzeichen des Erstaunens.
Mein Freund starb an Ort und Stelle an einem Herzanfall nach traumatischem Angstzustand. Für den Deputysheriff war alles sofort klar. Er hatte genug gesehen. In Handschellen wurde ich aus der Toilette geführt, an meiner erstaunten Frau vorbei, in den Polizeiwagen, zum Revier. Urlaub zu Ende.
Eine Woche später wurde ich verurteilt.
Die Jury lachte über meine Erklärung der Situation, die zum Tod meines Freundes führte und der Richter war sichtlich froh, einen Perversen wie ich es war, auf den elektrischen Stuhl setzen zu können.
Jetzt sitze ich hier im Todestrakt und schreibe meine Geschichte auf, in der Hoffnung, dass mir jemand eines Tages glaubt.
Während ich meine Geschichte aufgeschrieben habe, musste ich so manches mal lachen. Aber eigentlich ist es nicht zum Lachen. Ich sitze hier in der Todeszelle, weil ich meine Frau zu sehr liebte, ihr nach Möglichkeit jeden Wunsch erfüllen wollte. Ich würde es jederzeit wieder tun.
Meine Frau hat sich inzwischen scheiden lassen. Sie verweigerte im Prozess auch die Aussage. Sie kam erst gar nicht, um für mich auszusagen. Mittlerweile hat sie wieder geheiratet. Einen Cowboy aus Texas.
Ich sitze hier im Todestrakt und warte darauf, dass das Telefon klingelt, das rote Telefon, und der Gouverneur am anderen Ende der Leitung ist und inzwischen Kontakt mit der Root Beer Firma aufgenommen hat, die meine Erläuterungen bestätigen können.
Doch wer hätte das gedacht. Ich habe ich jetzt auch ein paar neue Freunde. Jim, Fred, Dave, Larry, Lance, Trevor und Jo Bob. Sie alle sitzen hier mit mir und warten auf den letzten Ritt auf dem Bullen. Und glauben Sie's oder glauben Sie's nicht, einige haben eine ebenso verrückte Geschichte zu erzählen wie ich.
Über den Autor:
Name: Helmut Salmón
geboren: 04.06.1950 in Fürth, Deutschland
Beruf: Kunstmaler und Schriftsteller
Nationalität: deutsch
Wohnort: Playa del Carmen
77710 Quintana Roo
Mexiko / Karibik
Straße: Calle 28 endrada Av. 20 y 25, Nr. 1B
Tel.: ++ 52 – 984 - 87 307 36
Email: sareu@prodigy.net.mx
Website: http://www.sareuprivat.de.vu
Künstlerische Aktivitäten:
Kunstmaler / Schriftsteller
Durchgeführte Ausstellungen:
Deutschland, Frankreich, Italien, Brasilien, Paraguay, Mexiko
Viele Jahre arbeitete ich an der Universität für Kunst, Film und Fernsehen in Paraguay und an der Kunstakademie in Nürnberg, Deutschland.